Die Pressefreiheit ist nicht absolut.
Kleine Nachhilfestunde für alle vermeintlichen Menschenrechtsexpert:innen.
Ich verfolge mit großem Interesse die aktuelle Debatte um meine Forderung nach einem Zitierverbot im nicht öffentlichen Ermittlungsverfahren. Viele haben sich dazu geäußert, manche befürwortend, einige ablehnend.
Letztere wollen die Diskussion am liebsten sofort beenden, indem sie sich auf eine rechtliche Unzulässigkeit berufen. Die Europäische Menschenrechtskonvention und die Judikatur des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ließen dies nicht zu, behaupten sie. Das ist aber falsch.
Eines vorweg: Die Pressefreiheit und die besondere Stellung von Journalistinnen und Journalisten als "Public Watchdogs" sind in einer Demokratie ein hohes Gut, das es mit allen Mitteln zu schützen gilt. Allerdings gilt, wie für die meisten Grundrechte: die Pressefreiheit ist nicht absolut.
Die EMRK ist der kodifizierte Kompass unserer Gesellschaft. Neben der Pressefreiheit enthält sie einen Katalog an Grund- und Menschenrechten, die grundsätzlich auf einer Ebene stehen und daher alle zu beachten sind. Häufig schneiden sich diese Grundrechte in der Realität. Beispiel: Das Versammlungsrecht des Einen kann in das Eigentumsrecht des Anderen eingreifen. In diesen Fällen ist eine Abwägung vorzunehmen, die in aller Regel zu einer Beschränkung eines Grundrechts führen wird.
Diese Abwägung hat daher selbstverständlich auch zu erfolgen, wenn wir die Einführung des Zitierverbots diskutieren.
Welche Grundrechte sind hier betroffen?
- Das Recht auf Pressefreiheit und das berechtigte Interesse der Bevölkerung, über Strafverfahren informiert zu werden.
- Das Recht der Beschuldigten auf ein faires Verfahren, sowie der Wahrung der Unschuldsvermutung und der Unparteilichkeit der Rechtsprechung.
- Das Recht auf Achtung des Privatlebens der Beschuldigten, der Opfer und aller Beteiligten.
Die Diskussion damit zu beenden, dass der Pressefreiheit absoluter Vorrang gegenüber den übrigen Grundrechten zu geben ist, ist verkürzt und eines Rechtsstaates nicht würdig. An dieser Stelle sei auch auf Artikel 10 Absatz 2 der EMRK hingewiesen, der einen Eingriffsvorbehalt normiert. Natürlich kann ab Anklageerhebung und nach öffentlicher Verhandlung die Öffentlichkeit nur mehr in Ausnahmefällen ausgeschlossen werden, die Entscheidung darüber liegt beim Gericht. Im Ermittlungsverfahren ist jedoch noch nicht klar, ob Anklage erhoben wird oder mit Einstellung vorzugehen ist. Es steht im Widerspruch zur Unschuldsvermutung und zur unbeeinflussten Rechtsprechung, wenn das nicht öffentliche Ermittlungsverfahren wortwörtlich - in Form von Zitaten aus dem Ermittlungsakt oder gar ganzer Vernehmungsprotokolle - in der medialen Öffentlichkeit abgehandelt werden.
Der EGMR hat sich im Übrigen mit diesen Fragen schon viele Male auseinandergesetzt. Ich möchte alle, die sich ernsthaft inhaltlich mit dem Thema Zitierverbot beschäftigen wollen, auf ein Urteil (Bédat v. Switzerland) aus 2016 hinweisen. In diesem kommt der EGMR in der Großen Kammer zum Schluss, dass eine Geldstrafe gegen einen Journalisten wegen Veröffentlichung aus Ermittlungsakten EMRK-konform ist (keine Verletzung von Art 10 EMRK).
Der EGMR führt außerdem einen Rechtsvergleich zu den ihm vorliegenden Daten aus 30 Vertragsstaaten an. 23 (!) davon haben ein generelles Zitierverbot. Nur 7 Länder, darunter Österreich, haben Regelungen, die lediglich den Verfahrensbeteiligten eine Veröffentlichung untersagen.
Wer also behauptet, dass ein solcher Vorschlag ein Angriff auf die Pressefreiheit oder gar eine Gefährdung der Demokratie darstellen würde, ist schlecht informiert oder aber inszeniert das bewusst, um sich als vermeintlicher Retter der Pressefreiheit aufspielen zu können. Österreich ist ein Land, in dem wir auf die Einhaltung aller Grundrechte zu achten haben - unabhängig davon, ob die Betroffenen Sympathieträger sind oder nicht. Die Justiz entscheidet stets ohne Ansehen der Person und der Tat, daran sollten auch wir uns orientieren.